Hendrik Rademacher, Leiter Dezernat Brandverhalten von Baustoffen im MPA NRW

Brandschutz im Bürogebäude

Die in Verwaltungs-und Bürogebäuden eingesetzten Baustoffe, darunter Textilien und Bodenbeläge, unterliegen Brandschutzbestimmungen. Deren Brandverhalten prüfen Experten wie Hendrik Rademacher vom Materialprüfungsamt Nordrhein-Westfalen.

Interview Gabriele Benitz

Textilien in Verwaltungs- und Bürogebäuden sollten nicht brennen oder die Brandquelle sollte schnell verlöschen. Herr Rademacher, Sie prüfen das Brandverhalten von Baustoffen, darunter Teppichböden, Möbelbezugsstoffe und Vorhänge, die in solchen Gebäuden zum Einsatz kommen. Welche Kriterien legen Sie im Materialprüfungsamt Nordrhein-Westfalen (MPA NRW) dabei an, vor allem, wenn es um die Schwerentflammbarkeit geht?

Rademacher: Der Begriff „Schwerentflammbarkeit“ findet sich z.B. in der Bauordnung von Nordrhein-Westfalen. Definiert ist der Begriff „Schwerentflammbarkeit von Baustoffen“ durch Prüfungen des Brandverhaltens, die nach der deutschen Norm DIN 4102–1 oder nach der europäischen Norm EN 13501–1 durchgeführt werden.

Sind die Prüfnormen deckungsgleich?

Nein, es gibt Unterschiede. Deshalb lassen sich die europäischen Klassifizierungen der nichtbrennbaren und brennbaren Baustoffe nicht direkt denen nach DIN zuordnen. Generell gilt: Diejenigen Produkte mit einem CE-Kennzeichen, das anzeigt, dass es die Anforderungen einhält, die Gesundheits- und Umweltschutz sowie Sicherheit gewährleisten, werden heute nur noch nach EN geprüft. Alle ohne CE-Zeichen können wahlweise nach DIN oder EN geprüft werden. Es existieren allerdings Produkte, die nach EN als schwer entflammbar eingestuft wurden, diese Klassifizierung nach DIN aber nicht erreicht hätten.

Welche Bestimmungen gelten für Teppichböden in Büro- und Verwaltungsgebäuden?

Das hängt davon ab, ob Besucher darin verkehren oder nicht. Das dürfte aber in der Regel der Fall sein. Hier greift die Sonderbauverordnung. So müssen etwa Bodenbeläge auf Flucht- und Rettungswegen, egal ob Teppichböden oder andere Materialien, hinsichtlich ihrer Schwerentflammbarkeit oder sogar Nichtbrennbarkeit geprüft werden. Ein weiteres Kriterium ist die Rauchentwicklung. Nachgewiesen werden muss das für Bodenbeläge auf Basis der EN 13501–1 mit den Klassen Bfl-s1 und Cfl-s1, wobei „fl“ für flooring und „s“ für smoke steht.

Welche Prüfverfahren sind hier vorgeschrieben?

Die Prüfverfahren unterscheiden sich, je nachdem, ob man die deutsche oder europäische Norm zugrunde legt. Der Unterschied der Verfahren bei Bodenbelägen ist gering, bei allen anderen Bauprodukten kommen teils deutlich voneinander abweichende Prüfverfahren zur Anwendung. Bei beiden wird für die brennbaren Baustoffe zunächst die Entzündbarkeit getestet, indem man sich mit einer kleinen Flamme, die eine Streichholz- oder Feuerzeugflamme simuliert, dem Produkt nähert. In diesem Kleinbrennertest wird etwa eine Probe eines Bodenbelags 15 Sekunden lang dieser kleinen Flamme ausgesetzt. Bestanden ist der Test, wenn die Flammen der brennenden Probe innerhalb von 20 Sekunden nicht bei der Messmarke 150 mm über dem Flammenangriffspunkt angekommen sind.

Bewertet man auf DIN-Basis die Schwerentflammbarkeit, also die Klasse B1, muss das Produkt, wenn es kein Bodenbelag ist, im Brandschacht getestet werden. Dazu beflammt man 1 m lange, schachtförmig angeordnete Proben zehn Minuten lang am unteren Ende. Dann misst man, wie weit die Zerstörung durch Abbrand der Probe nach oben reicht beziehungsweise welche Flammenhöhe erzielt wurde. Die mittlere Restlänge darf dann nicht weniger als 150 mm betragen und keine Probe ganz verbrannt sein. Die mittlere Rauchgastemperatur muss weniger als 200 Grad Celsius betragen.

Welche Parameter bestimmen die EN-Norm?

Nach der europäischen Norm müssen schwer entflammbare Baustoffe mindestens die Klasse C-s3, d2 erfüllen. Die beste Stufe in dieser Klasse ist B-s1, d0. Das lässt sich mit dem Single Burning Item (SBI) nachweisen, um die Ausbreitung der Flammen beim Brand eines einzelnen Gegenstands festzustellen. In diesem Test simuliert man, wie ein brennender Papierkorb einen Raumbrand erzeugt. Dazu wird mit dem zu prüfenden Produkt eine Raumecke aufgebaut und hier die Probe mit einem Gasbrenner über eine Dauer von 20 Minuten bearbeitet. Man bestimmt die Energie- und Rauchfreisetzung der brennenden Probe. Für Bodenbeläge setzt man ein anderes Prüfverfahren ein, das berücksichtigt, dass die Beläge auf dem Boden liegend verwendet werden. Dazu erhitzt ein Wärmestrahler die Probe und etwas später wird mit einer Flamme versucht, die Probe zur Entzündung zu bringen. Das Testergebnis hängt davon ab, wie sich die Flammenfront ausbreitet. Kritisch wird es bei als schwer entflammbar klassifizierten Bodenbelägen, die unzulässigerweise an der Wand angebracht werden. Dafür gilt die Klassifizierung nicht, denn der Abbrand eines am Boden ausliegenden Produktes ist deutlich langsamer als wenn es an der Wand befestigt ist.

In Bürobauten können auch Textilien wie Vorhänge und Möbelbezugsstoffe leicht brennen. Welchen Prüfungen müssen diese sich unterziehen?

Vorhänge, die etwa zum Verdunkeln dienen, gelten als fest installierte Bauprodukte und müssen deshalb geprüft werden. Jedoch trifft das auf Bezugsstoffe für Polstermöbel nicht zu, weshalb weder ein Prüfzeugnis noch eine Zulassung erteilt werden muss. Dennoch empfiehlt sich hier die Klassifizierung nach DIN 4102–1 oder DIN EN 13501–1. Bei der EN-Klassifizierung setzt man den SBI-Test ein.

Prüfen Sie am Brandlabor des Materialprüfungsamts Nordrhein-Westfalen in Erwitte auch Möbelbezugsstoffe?

Ja, aber deren Einzelklassifizierung sagt nichts über das Brandverhalten eines Polstermöbels aus. Zwar können sie als Einzelmaterial die Einstufung als schwer entflammbar erreichen. Aber Sie müssen die Stoffe im Zusammenhang sehen, zum Beispiel mit Schaumstoffpolstern. Und die brennen gut. Wenn man beides im Verbund betrachtet, werden die Möbelbezugsstoffe keine Schwerentflammbarkeit erzielen. Deshalb benötigt der Produzent eines Polstermöbels die Klassifizierung des Verbundstoffs.

Die Hersteller lassen sich die Produkte zertifizieren und brauchen dazu die entsprechenden Prüfzeugnisse, auch über das Brandverhalten. Beraten Sie die Textil- und Teppichbodenproduzenten darüber hinaus bei der Produktentwicklung?

Wir überreichen den Kunden unsere Prüfergebnisse und Informationen über das Brandverhalten. Das können Aspekte wie „schnell entzündlich während der Tests“ oder die „Energieabgabe erfolgte zu einem späten Zeitpunkt“ sein, also Aussagen zur quantitativen und qualitativen Brandentwicklung. Wenn die Kunden das wollen, können sie bei den Prüfungen auch dabei sein, um selbst den Verlauf zu beobachten. Sie erhalten aber keine Auskunft von uns in Richtung Produktentwicklung. Denn dann würden wir ihre Stoffe indirekt mit anderen Produkten dieser Kategorie vergleichen. Das dürfen wir aus Gründen der Vertraulichkeit nicht.


 

Dipl.-Ing. Hendrick Rademacher

studierte Maschinenbau an der TU Braunschweig. Seit Mai 1992 arbeitet er im Brandschutzzentrum Erwitte beim MPA NRW im im Dezernat „Brandverhalten von Baustoffen“, das er seit 2003 leitet. Er wirkt in Normungsgremien mit.