Schreiben vor der Digitalisierung – Was können Laptopdesigner davon lernen?

Büro ohne Schreibmaschine

Es ist noch nicht lange her, da gab es kein Büro ohne Schreibmaschine. Dann war sie auf einmal verschwunden. Und mit ihr Namen wie Remington, Hermes, Olympia oder Olivetti. Schade. Denn von vielen der alten Entwürfe kann man Ergonomie lernen.

Autor und Fotos Lorne Lorenç Liesenfeld

Eine gute Schreibmaschine ist eine Maschine, die gut schreibt. Das kann eine große schwere Konstruktion oft besser als eine kleine leichte Maschine. Doch nach dem Ersten Weltkrieg war die Welt im Aufbruch. Mobilität wurde zum Inbegriff des modernen Menschen. Und die Designer gingen daran, die Gegenstände zu verkleinern, damit man sie überall hin mitnehmen konnte.

Das eigentliche Problem, nämlich eine schlanke Reiseschreibmaschine zu bauen, liegt an der Konstruktion des Korbs mit den Typenhebeln. Denn um eine Majuskel zu schreiben wird dieser bei einer größeren Maschine beim Druck auf die Umschalttaste – heute nennen wir sie Shift-Taste – gesenkt. Doch das braucht Platz. Im Oktober 1920 stellt die amerikanische Firma Remington eine Konstruktion vor, die Furore macht: die ‚Portable‘. Hier wird der Wagen beim Shiften nach hinten geschoben. Erst diese Idee ermöglichte das äußerst schlanke Design. Zum Vorbild wird auch Remingtons vierreihige Tastatur.

Bei der von Giuseppe Prezioso entworfenen ‚Hermes Baby‘ hingegen wird der Wagen auf einer Rotationsachse nach hinten gekippt. Diese in Max Frischs Homo Faber zu Ruhm gekommene Maschine hatte die schweizer Firma Paillard 1935 auf den Markt gebracht. Preziosos Entwurf ermüdet die Finger nicht so sehr, wie wenn der Wagen ganz angehoben wird. Doch auch ihr schlichtes, zeitloses Design verhilft der ‚Hermes Baby‘ zu einem jahrzehntelangen Erfolg.

Nachkriegsdesign

Die 1950 von Olivetti vorgestellte ‚Lettera 22‘, entworfen von Marcello Nizzoli in Zusammenarbeit mit dem Ingenieur Giuseppe Beccio, ist ebenfalls ein technisches und gestalterisches Meisterstück. Sie vereint die Vorteile einer großen mit der Mobilität einer kleinen Maschine, denn der Korb wird nach wie vor gesenkt. Die ‚Lettera 22‘ hatte noch, wie das vor dem Zweiten Weltkrieg üblich war, schwarze runde Tasten, mit denen es sich angenehm tippen ließ. Hervorragend war Nizzolis Idee, den Zeilenschalthebel umzuklappen sowie den Wagen hinten abzudecken, sodass die Maschine, typisch auch für die späteren Modelle von Olivetti, bei Nichtgebrauch einfach hochkant gestellt werden konnte. Sie war bei Journalisten und Schriftstellern sehr beliebt.

Auch die ‚Princess‘, die Anfang der 1950er-Jahre von der Augsburger Firma Keller & Knappich entwickelt wird, ist jahrelang sehr populär. Hier geht man mit dem Zeilenschalthebel einen ganz anderen Weg: wenn schon, denn schon! Er ragt selbstbewusst in die Höhe und schmiegt sich beim Aufsetzen des Kofferdeckels dennoch eng ans Gehäuse an. Tyisch für jene Jahre ist hier die Zweifarbigkeit.

Auch sind die wegen ihrer robusten Konstruktion geschätzten Maschinen aus der DDR aufzuführen. Großen Erfolg hatte die vom VEB Schreibmaschinenwerk Dresden – vormals Seidel & Naumann – produzierte ‚Erika‘. Karl Clauss Dietel entwirft Mitte der 1970er-Jahre unter anderem die ‚Erika 50‘ und wird 2014 mit dem Designpreis der Bundesrepublik Deutschland für sein Lebenswerk geehrt. Interessant auch: die von Karl Ronneberger gezeichnete und von 1954 bis 1961 vom VEB Groma Büromaschinen Markersdorf hergestellte ultraflache ‚Kolibri‘. Sie wurde in Westdeutschland von Neckermann unter dem Namen ‚Brillant Junior‘ vertrieben und spielte im Film ‚Das Leben der Anderen‘ aus dem Jahr 2006 die Hauptrolle.

Formschönheit

In Deutschland werden Anfang der 1960er-Jahre 50 Prozent der Schreibmaschinen von der Wilhelmshavener Firma Olympia hergestellt. Sie sind für ihr äußerst sauberes Schriftbild bekannt. Auch bei hunderttausendfacher Beanspruchung wird der hochgedrückte Wagen zehntelmillimetergenau in dieselbe Position befördert. Durch diese feinmechanische Meisterleistung befinden sich die Buchstaben stets auf einer Linie – auch heute noch. Um diese Zeit steigt Olympia, wie andere, auch in die Produktion elektrischer Schreibmaschinen ein. Bei der ‚Monica electric de Luxe‘ aus den 1980er-Jahren klingt noch der elegante Funktionalismus der Ulmer Schule nach. Die Aggressivität der poppigen, spitzwinkligen Verkleidung der Antares ‚Lisa 30‘ hingegen ist eine eindeutige Absage an die Stromlinienform und mit ihrem geringen Gewicht ein klares Bekenntnis zur Plastikkultur der 1970e- Jahre.

Eine der formschönsten Entwürfe aller Zeiten jedoch ist die in den 1970er-Jahren von Nakajima produzierte ‚Eurostar SM 1000‘. Doch hält die Maschine nicht ganz das Versprechen, das die dynamische Schale verspricht. Es fehlt ihr der leichtgängige und sanfte Anschlag einer ‚Lettera 22‘ sowie die Haptik der Tasten einer ‚Princess‘. Erst wenn Konstruktion und Verkleidung eine Einheit bilden, können wir von einem gelungenen Design sprechen.

Hybrid-Design

Und heute? Es gibt Versuche, die Schreibmaschinenkultur mit der digitalen Wirtschaftlichkeit eines Rechners zu verbinden. Für rund 100 Euro bietet der Hacker mit Ingenieurdiplom Jack Zylkin ein Konvertierungspaket zur Selbstmontage an. Mit seinem ‚USB Typewriter‘ klebt man im Handumdrehen einen Sensorstreifen mit 44 vergoldeten Plättchen unterhalb der Typen einer beliebigen Schreibmaschine an. Beim Tippen werden die Informationen über ein kleines Kontrollpanel, das ebenfalls die Funktionen CTRL und ALT besitzt und seitlich an die Maschine befestigt wird, über den USB-Anschluss in den Rechner eingegeben. Und gleichzeitig hat man den Text auf Papier.

Diese Idee könnte man weiter ausbauen. Das würde etwas Schwung in das uninspirierte Laptopdesign bringen. Ich bin davon überzeugt, dass Konstruktion und Design eines Geräts einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die eigene Kreativität haben. Als vor fünfzehn Jahren hervorragende Schreibmaschinen noch für sieben Euro einschließlich Versand zu haben waren, begann ich, mir eine Schreibmaschinensammlung aufzubauen. Seither tippe ich meine ersten Gedanken zu einem Text in einer Art surrealistischem Automatismus wild in eine meiner inzwischen vierzig Maschinen ein. Manchmal wechsle ich auch abrupt von einer zur anderen, denn jede hat ihren eigenen Charakter. Natürlich liefere ich meine Artikel und Aufsätze dann in digitaler Form ab, doch jedes Mal denke ich, dass mein Toshiba ‚Netbook‘ durchaus etwas vom Tastendesign meiner Olivetti, Princess oder Olympia gebrauchen könnte. Ein solcher Laptop wäre nur 2 cm höher, doch die leicht ansteigende Tastatur und die genau auf die Fingerkuppen abgestimmten Tasten würden auch das Schreiben mit dem Laptop zu einem Hochgenuss werden lassen. Deshalb mein Appell an alle Designer: Schafft eine Hybridlösung! Und nennt sie die ‚Lorne No. 1‘! Erst dann werde ich aufhören, Schreibmaschinen zu sammeln!